Interview: 14. Juli 2020 (Etappe 2), per Telefon
Was sind Ihre Aufgaben während Ihrer Arbeit?
Ich bin in meiner Direktion zuständig für die Gesundheit, vor allem die Versorgungsplanung, für die Spital-Listen, aber auch die ganzen Bewilligungen von Institutionen, die Berufsausübungs-Bewilligungen. Wir sind auch für das Ganze Soziale im Kanton Bern zuständig, Sozialdienste, Sozialinstitutionen und die ganze Integration. Zum Beispiel die Integration von Leuten aus der Sozialdienste, aber auch Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen.
Die Medizininformatik ist noch eine junge Studienrichtung. Welche Bedeutung messen Sie diesem Studiengang heute bereits zu?
Die IT und die Digitalisierung wird eine der wichtigsten Pfeiler in den nächsten Jahren sein. Auch ganz besonders in der Medizin. Es gibt in diesem Bereich noch vieles zu tun. Ich denke auch ganz besonders an die ganze Datenerfassung. Im Moment wird das noch sehr mangelhaft und fehlerhaft gemacht. Die ganzen Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen. Ich denke auch an das Elektronische Patientendossier (EPD), welches im Moment noch nicht unbedingt schnell vorwärts geht. Der Bedarf wird in der Zukunft wahnsinnig gross sein, ich glaube, dass mit mehr Daten und mit besserer Datenqualität, wir in der Lage sein werden eine bessere Qualität von Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Zudem wird es auch einen Einfluss haben auf die Eindämmung des Kostenwachstums.
Welche Chancen für die Entwicklung des Gesundheitswesens sehen Sie im Zusammenhang mit der Medizininformatik?
Ich glaube, dass es in der Zukunft eine viel personalisiertere Medizin zur Verfügung gestellt werden kann. Mit der ganzen IT und den ganzen Daten, die man erfassen und zur Verfügung stellen könnte, und auch quer analysieren könnte, würde es uns helfen, eine personalisierte Medizin zur Verfügung zu stellen. Und nicht eine Medizin, wo wir mit klinischen Tests versuchen müssen, ob ein Medikament einen Einfluss auf eine Person hat oder nicht. Ich sehe, dass wir gewisse Informationen schon heute zur Verfügung haben, aber sie werden noch nicht genügend gebraucht und manchmal auch nicht in der Qualität, die man erwarten könnte.
Gibt es auch Risiken bezüglich der personalisierten Medizin? Wenn ja, welche?
Es gibt sicherlich auch Risiken. Erstens gibt es die ganze Problematik des Datenschutzes, die man lösen muss. Wie weit müssen wir in den Datenschutz gehen, wie weit mit der Verbesserung der Allgemeinheit. Das sind sehr wichtige Fragen, ethische Fragen. Je nachdem wie wir das behandeln könnte es auch sein, dass wir gewisse Behandlungen verweigern würden, an gewisse Leute und das kann sicherlich nicht der Fall sein. Das wäre keine Verbesserung. Und es wird Risiken geben, wer welchen Teil der Medizin steuert.
Corona hat gezeigt, dass das Gesundheitswesen der Schweiz noch zu wenig digital ist. Das elektronische Patientendossier soll seit einigen Jahren realisiert werden. Warum dauert das so lange?
Ich habe den Eindruck, dass wir sofort eine Rolls Royce zur Verfügung stellen wollen, anstatt mit einem kleineren Wagen anzufangen, der laufen würde und den man verbessern könnte. Und es ist oft der Fall, wenn wir jetzt zum Beispiel das Betriebssystem Windows nehmen: Es hat nicht mit den Funktionalitäten gestartet, die wir heute zur Verfügung haben. Und im EPD versucht man alles bis zum letzten Detail zu decken. Noch dazu kommt eine starke Regulierung, die grundsätzlich ungefähr nichts bringen wird. Das wird uns Millionen und Millionen kosten. Ich habe Angst, dass die Aufmerksamkeit weggehen wird, weil das Projekt so lange dauert und dass es die meisten die mitmachen müssen, das EPD am Ende nicht benutzen werden. Das ist vielleicht der schweizer Konsens, dass man jetzt den Patienten und Ärzten die Möglichkeit gibt, mitzumachen oder nicht. Aber das bringt nicht viel. Wenn wir wirklich ein EPD erfolgreich umsetzen wollen, dann muss es für alle obligatorisch sein. Jeder Einwohner sollte dann eine Nummer mit einem Dossier bekommen, worin seine Daten gelagert werden. Dies würde es uns ermöglichen, sehr viel Testen und Proben zu verhindern, weil viele Ärzte wissen nicht, dass der vorherige Arzt schon gemacht hat.
Es würde uns auch in Notfallsituationen helfen, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar ist und vielleicht keine der Angehörigen dabei sind. Und es würde sicherlich einen guten Einfluss auf die Kosteneindämmung haben, aber dafür müsste man mutiger sein, um das EPD in der Schweiz zu implementieren.
Ich zweifle auch an den Lösungen, die genommen wurden, wo mehrere Stammgemeinschaften aufgebaut werden. Ich meine damit, dass in der Schweiz eine einzige Stammgemeinschaft absolut genügend gewesen wäre. Aber rund um die Stammgemeinschaft muss ein offener Markt zur Verfügung gestellt werden, wo die Leute zusätzliche Applikationen und Funktionalitäten entwickeln können, die je nach Region, je nach Beruf oder Institution gebraucht werden.
Wie kann ich als zukünftiger Medizininformatiker hier unterstützend tätig sein, damit einige dieser Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden können?
Ich glaube, dass es im Moment eine grosse Lücke gibt zwischen den Entscheidungsträgern und den Leuten, die es nachher umsetzen müssen. Und ich glaube, dass es sehr wichtig sein wird, dass die Leute über die Möglichkeiten, die sie haben und die Methoden, die man benutzen kann, mehr kommunizieren. Damit die Entscheidungen nicht nur basiert auf Interesse gewisser Leistungserbringern gefällt werden.
Ist die Medizininformatik ein Beruf der Zukunft? Wenn ja, warum?
Ja, weil wir werden in der Zukunft eine grosse Entwicklung haben, ich denke diesbezüglich auch an die Betreuung der älteren Bevölkerung. Wir werden immer mehr Menschen über achtzig Jahre alt haben und da brauchen wir neue Methoden. Wir haben in gewissen Bereichen einen Fachkräftemangel, den wir mit einer besseren Digitalisierung sehr gut überbrücken könnten. Denken Sie zum Beispiel an die ganze Radiologie, wo wir mit künstlicher Intelligenz sicherlich eine grosse Entlastung bringen könnten. Aber auch zum Beispiel zur Überwachung von chronischen Krankheiten. Anstatt dass die Person jeden Monat zum Arzt gehen muss, könnte er fernüberwacht werden, vielleicht einmal pro Monat bei einer MPA (Medizinischen Praxisassistentin) und dann vielleicht nur ein- oder zweimal pro Jahr zum Arzt gehen. Das würde uns erlauben, das ganze System effizienter zu gestalten. Aber dafür brauchen wir Fachkräfte, die etwas von Digitalisierung und IT, aber auch von der Medizin verstehen.
Dann sind wir schon am Ende meiner Fragen. Gibt es noch etwas, was Sie hinzufügen möchten?
Ja, ich wünsche Ihnen eine tolle Fahrt rund um die Schweiz und viel Erfolg in Ihrem Studium. Es freut mich, dass Sie dieses Studium gewählt haben und sich fürs die BFH engagieren, das ist sicherlich eine gute Sache.
Danke für das interessante Interview. Ich finde es toll, dass auch Herausforderungen angesprochen werden.